Auf Deutsch werden die Begriffe „Bindungsorientierte Erziehung“, „Bindungserziehung“ oder auch „Bedürfnisorientierte Erziehung“ gleichermaßen für den englischen Begriff „Attachment Parenting“ benutzt. Man stößt auch auf Begriffe wie „unerzogen“, „artgerecht“ und „geborgen wachsen“.
Abhängig mit wem man spricht, erhält man unterschiedliche Antworten auf die Frage, was bindungsorientierte Erziehung eigentlich ist. Das liegt daran, dass „bindungsorientierte Erziehung“ kein definierter Erziehungsstil ist (mehr zu Erziehungsstilen siehe hier). So gibt es Eltern, die ihrer Überzeugung nach „bindungsorientiert“ erziehen, dabei kommen jedoch Erziehungsstile zum Einsatz die von permissiv, laissez-fair – mit kaum oder nur wenigen klaren Regeln – bis hin zu strenger Erziehung mit relativ festen Regeln und Grenzen.
Sowohl permissive (kaum bis keine Regeln/Grenzen) wie auch autoritäre Erziehung (sehr viele Regeln/Grenzen) bergen in der Tat Gefahren für die gesunde Entwicklung von Kindern (mehr zu „Gefahren von Erziehung ohne Grenzen“ hier und „Was ist falsch an zu strenger autoritärer Erziehung“ hier).
Aufgrund von zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass hohe sozial-emotionale Kompetenzen (mehr dazu hier) und eine starke Resilienz wichtige Grundvoraussetzungen sind, damit aus Kindern glückliche, gesunde und erfolgreiche Erwachsenen werden.
Und wir wissen auch, dass der autoritative Erziehungsstil als der effektivster Erziehungsstil gilt, um resiliente Kinder mit hoher sozial-emotionaler Kompetenz aufzuziehen (mehr Infos sowie Literaturhinweise siehe ganz unten im Artikel).
„Bindungsorientierte Erziehung“ und „Autoritative Erziehung“ wie passt das denn zusammen?
In der Entwicklungspsychologie wird mit Bindung die emotionale Verbindung zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson bezeichnet (hier findest du unser Experten-Interview zum Thema Bindung). Orientierung wiederum bedeutet, sich auf bestimmte Grundsätze zu konzentrieren, sich diese als Leitfaden zu eigen machen. Und Erziehung ist die Einflussnahme, die wir Erwachsene über einen längeren Zeitraum hinweg auf unsere Kinder haben (mehr dazu hier). Bindungsorientierte Erziehung legt also den Fokus auf eine gute Bindung zwischen Kindern und Erwachsenen einer Familie.
Und genau hier kommt nun ein wichtiger Fakt: All dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung in der Autoritativen Erziehung! Wichtig ist hier jedoch auch, in Kinder das Vertrauen zu haben, dass sie Dinge mit zunehmendem Alter allein und selbstständig erledigen können! Dabei ist die Herausforderung den Punkt zu finden, der Kinder weder über- noch unterfordert! Genau dies versuchen Eltern, die autoritativ erziehen. Liebevoll unterstützen sie das Kind hiermit in seiner Entwicklung zur Selbstständigkeit.
Wie gelingt es uns nun, mit Hilfe von bindungsorientierter Erziehung Kinder zu glücklichen und gesunden Erwachsenen zu erziehen?
1. Der Aufbau einer sicheren Bindung in der Säuglingszeit ist die Basis!
In der Säuglingszeit ist es wichtig, Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst oder Körperkontakt unmittelbar zu stillen um eine sichere Bindung aufzubauen.
Darum befürwortet bedürfnisorientierte Erziehung
- langes, bedarfsorientiertes Stillen,
- nahes beieinander Schlafen von Mutter/Vater und Kind und
- häufiges Tragen des Säuglings.
2. Unterscheiden von Wunsch und Bedürfnis des Kindes
Der Aufbau bzw. die Erhaltung dieser guten Bindung ändern sich jedoch je nach Lebensalter des Kindes. Denn nur kurze Zeit später, bereits als Kleinkind (ab ca. 12 Monate), sind (anders als beim Säugling!) Bedürfnisse und Wünsche nicht mehr gleichzusetzen! Und je älter das Kind wird, desto größer wird die Spanne zwischen diesen beiden Begriffen (und desto selbstständiger wird das Kind!).
Darum verschiebt sich der Fokus nun von der unmittelbaren Stillung der Grundbedürfnisse darauf, zu erkennen, was Wunsch , und was Bedürfnis des Kindes ist.
Wird dieser Entwicklungssprung des Kindes von den Eltern nicht als solcher erkannt, ist die Gefahr groß, dass Eltern zu einem permissiven Erziehungsstil übergehen ( Hier findest du mehr über Gefahren eines permissiven Erziehungsstiles).
Zum Beispiel kann ein übermüdetes Kind vor Wut rebellieren, weil es den Wunsch äußert, Fernsehen schauen zu wollen, das eigentliche körperliche/gesundheitliche Bedürfnis wäre jedoch, schlafen zu gehen.
3. Ein wertschätzender, liebevoller und respektvoller Umgang mit dem Kind und seinen Gefühlen
Um die Bindung nun aufrecht zu erhalten, ist ein wertschätzender, liebevoller und respektvoller Umgang mit dem Kind und seinen Gefühlen wichtig . Dem Kind also das Gefühl zu geben: Ich sehe dich und du bist mir wichtig, ich höre dir zu, und jetzt ist es wichtig, dass du schlafen gehst!
In unserem Beispiel könnten wir zum Beispiel dem Kind Hilfestellungen anbieten, damit es eigenständig zu Ruhe finden kann. Ein Beispiel für eine positive und grenzen-setzende Kommunikation mit Kleinkind wäre etwa:
“Ich höre dich, du möchtest so gerne Fernsehschauen. Komm her zu mir, darf ich dich kurz kuscheln?”
Körperkontakt stärkt die Bindung und gibt dem Kind das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit – es kann so besser entspannen.
Nach einer kurzen Kuscheleinheit:
“Auch wenn du jetzt gerne Fernsehschauen möchtest, es ist jetzt Zeit zum Schlafen gehen. Soll ich dich ins Bett tragen, oder möchtest du gemeinsam als Trampeltierfamilie ins Schlafzimmer stampfen?”
Eine Anleitung, wie es dir gelingt, liebevoll und empathisch Grenzen aufzuzeigen findest du hier .
Um unsere Kinder in ihrer emotionalen Intelligenz zu fördern, sollen Kinder alle Gefühle zulassen dürfen! Hier ist es wichtig, Kindern die Worte für Ihre Gefühle zu lehren und sie im Umgang mit unterschiedlichen Gefühlen zu schulen!
4. Wissen um positive Erziehungs-Strategien
Um solche Situationen vorbeugend zu begegnen helfen Routinen , in diesem Fall Z.B. eine gleichbleibende Abend-Routine mit einem warmen, beruhigendem Bad, einer Tasse warmer Honig-Milch, eine gute Nacht-Geschichte etc. – Was zu eurer Familie passt.
Es geht darum, durch den Nutzen von positiven Erziehungs-Strategien “Verhaltensprobleme” gar nicht erst aufkommen zu lassen. Z.B. Aufmerksamkeit auf “sozial erwünschtes Verhalten” lenken (“Blick auf das Positive” – siehe hier auch unser Beitrag “Die drei Brillen“) oder durch die Nutzung von Regeln und festen Routinen.
Ein wertschätzender, liebevoller und respektvoller Umgang mit dem Kind und seinen Gefühlen ist selbstverständlich auch im Jugendalter Grundvoraussetzung für eine gute Bindung!
5. Die Meinung der Kinder ist wichtig!
Anders als bei der autoritären Erziehung, berücksichtigen Eltern die bindungsorientiert autoritativ erziehen, die Meinung ihrer Kinder. Dabei wird altersgerecht auf das Kind eingegangen.
6. Klare Eltern-Kind-Rollenverteilung
Dabei sind die Eltern-Kind-Rollen jedoch klar verteilt und Eltern tragen ganz klar die Verantwortung für ihre Kinder. Das spielt eine wichtige Rolle darin, dass das Kind sich sicher , also gut beschützt und verstanden fühlt. So kann es sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren , die seine Aufgaben als Kind sind!
Bindungsorientierte Erziehung ist eine wichtige Grundvoraussetzung für den Aufbau eines Urvertrauens des Kindes, dass es stets von seiner Bezugsperson beschützt, bestärkt und sicher geleitet wird. Und dies ist eine wichtige Basis für Resilienz .
7. Fördern von selbstständigen Problem-Löse-Strategien
Durch Fragen, statt durch Vorgeben von Lösungen, werden Kinder angeleitet Problem-Lösungs-Strategien und Konflikt-Handlungs-Strategien selbstständig zu erlernen.
In Konfliktsituationen geht es darum, gemeinsam Lösungen zu finden und das Kind anzuleiten, selbstständig Problemlösungsstrategien zu finden. So unterstützt du dein Kind, auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Auch bei Geschwisterstreitigkeiten ist eine unparteiische, nicht bewertende Grundhaltung sehr wichtig, bei der die gemeinsame Problem-Lösungsfindung im Vordergrund steht.
“Du möchtest also gerne zu deiner Freundin gehen und du weißt auch, du hast bald eine Englisch-Probe. Was kannst du tun, damit du für deine Probe gut vorbereitet bist und trotzdem noch Zeit hast, Zeit mit deiner Freundin zu verbringen?”
8. Förderung von Selbstständigkeit
Kinder können in ihrer Selbstständigkeitsentwicklung gefördert werden, indem ihnen Aufgaben übertragen und Aktivitäten zugetraut werden.
Um sich zu selbstständigen Erwachsenen zu entwickeln, die Selbstdisziplin an den Tag legen können, also auch mal unangenehme Situationen oder Tätigkeiten am Schopf packen, benötigen Kinder klare Anweisungen und Begleitungen. Die natürlichen Konsequenzen ihrer Handlungen klar aufzuzeigen hilft ihnen dabei.
Beispiel: Mein Kind vergisst sein Pausenbrot einzupacken? Einmal bringe ich es ihm, aber ich erinnere es daran:
“Es ist deine Verantwortung, dein Pausenbrot einzupacken. Bitte denke das nächste Mal daran.”
Kommt es öfter vor, helfe ich ihm, Strategien zu finden, wie es ihm gelingt, seine Verantwortung einzuhalten. z.B. einen Notizzettel an die Schultasche heften: “Bitte vergiss mich nicht, liebe Grüße, dein Pausenbrot”.
So gelingt es dir, Kinder in ihrer Selbstständigkeit und in ihrer Eigenverantwortung zu unterstützen.
9. Bedingungslose Liebe
Kinder sollen sich sicher fühlen und erleben, dass sie so akzeptiert werden, wie sie sind. Bedingungslose Liebe stärkt die Resilienz! Das bedeutet natürlich auch, dass Erziehungsmethoden, die mit Liebesentzug arbeiten, wie z.B. “Schreien lassen” oder “Aus-Zeit-verordnen” keine Option sind!
Es geht in der bindungsorientierten Erziehung also nicht um die Erfüllung aller Wünsche! Und auch nicht, um anti-autoritäre oder laissez-faire Erziehung. Auch Selbstbestimmung und Selbstregulation ist nicht mit bindungsorientierter Erziehung gleichzusetzen!
Bindungsorientierte Erziehung ist eine grundlegende Einstellung Kindern gegenüber!
Als letztes wollen wir noch auf vermutlich den wichtigsten Punkt hinweisen:
Ein gutes Vorbild sein
Nur wer selbst Energie hat, kann sich liebevoll, achtsam, wertschätzend und respektvoll in Konfliktsituationen verhalten! Ein wichtiger Grundbaustein einer gelingenden bindungsorientierten-Erziehung ist darum auch, dass Eltern selbst auf ihre eigene Gefühle-Regulation achten! Du selbst, bist das wichtigste Vorbild deines Kindes!
Wieso ist bindungsorientierte Erziehung wichtig?
Nur wenn sich das Kinder sicher, also gut beschützt und verstanden, fühlt, kann es sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren , die seine Aufgaben als Kind sind! Bindungsorientiere Erziehung ist eine wichtige Grundvoraussetzung für den Aufbau eines Urvertrauens des Kindes, dass es stets von seiner Bezugsperson beschützt, bestärkt und sicher geleitet wird. Und dies ist eine wichtige Basis für Resilienz !
Eine gute Bindung ist eine wichtige Voraussetzung, dass dein Kind freiwillig mit dir kooperiert! Studien zeigen, dass Kinder, die mit autoritärer, permissiver oder negierender Erziehung aufwachsen deutlich mehr gegen ihre Eltern rebellieren und dies wiederum ist ein Risiko-Faktor für körperliche oder psychische Gewalt gegen Kinder (siehe Tompsett & Toro, 2010)!
Kinder mit guter und sicherer Eltern-Kind-Bindung zeigen weniger Ängste (siehe z.B. Lebowitz et al., 2016 und Tops et al. 2007), können mit Stress besser umgehen (Neurobiologisch erforscht! Siehe z.B. Pierrehumbert et al, 2012) und zeigen deutlich mehr sozial-emotionale Kompetenzen im Vergleich zu Kindern mit Eltern mit permissiver/laissez-faire oder autoritärer Erziehung (für eine tolle Zusammenfassung siehe Segrin & Flora 2019).
Durch liebevolle Begleitung werden Kinder sicher angeleitet und können sich zu glücklichen, selbstständigen und erfolgreichen Erwachsenen entwickeln.
Während Erziehung irgendwann abgeschlossen ist, hält die Beziehung zu deinem Kind ein Leben lang!
Zusammenfassung: Warum ist der autoritative Erziehungsstil am besten?
Durch die hohen Anforderungen mit GLEICHZEITIG hoher sicherer Bindung werden Kinder
- in ihrem Verantwortungsbewusstsein gestärkt
- darin unterstützt zu lernen sich selbst zu regulieren
- angeleitet, selbst Problemlöse-Strategien zu finden. Dies hilft ihnen als Erwachsene selbst gute Entscheidungen zu treffen
- darin unterstützt, Respekt vor anderen Menschen und Regeln, aber auch Respekt sich selbst gegenüber zu haben.
Kinder
- können sich aufs „Kind-Sein“ konzentrieren. Sie müssen sich nicht darum sorgen, wer das Sagen hat, weil sie wissen, wer die Entscheidungen trifft, um sicherzustellen, dass sie gesund und glücklich sind: die Eltern
- Gleichzeitig wissen sie, dass sie mit ihren Problemen immer zu ihren Eltern gehen können. Haben eine sicherere Bindung und bessere Beziehung zu ihren Eltern. Sie haben eine sichere Ansprechperson – ein wichtiger seelischer Schutzfaktor (Resilienz!)
- sind einfühlsamer, freundlicher und warmherziger
- neigen dazu, weniger soziale Probleme mit Gleichaltrigen zu haben, mit Erziehern und Lehrern besser auszukommen und in Kindergarten/Schule beliebter zu sein
- sind wegen ihrer sozial-emotionalen Kompetenz widerstandsfähiger gegen den Druck von Gleichaltrigen oder anderen Kindern und haben ein geringeres Risiko Mobbing-Opfer (aber auch der Mobber) zu werden
Literaturhinweise
Gute Zusammenfassung:Segrin, C., & Flora, J. (2019). Fostering social and emotional intelligence: What are the best current strategies in parenting?. Social and Personality Psychology Compass, 13(3), e12439.
Kooperation:Tompsett, C. J., & Toro, P. A. (2010). Predicting overt and covert antisocial behaviors: parents, peers, and homelessness. Journal of Community Psychology, 38(4), 469-485.
Schutz vor Ängsten:Lebowitz, E. R., Leckman, J. F., Silverman, W. K., & Feldman, R. (2016). Cross-generational influences on childhood anxiety disorders: pathways and mechanisms. Journal of Neural Transmission, 123(9), 1053-1067.
Tops, M., Van Peer, J. M., Korf, J., Wijers, A. A., & Tucker, D. M. (2007). Anxiety, cortisol, and attachment predict plasma oxytocin. Psychophysiology, 44(3), 444-449.
Umgang mit Stress:Pierrehumbert, B., Torrisi, R., Ansermet, F., Borghini, A., & Halfon, O. (2012). Adult attachment representations predict cortisol and oxytocin responses to stress. Attachment & human development, 14(5), 453-476.
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