Oft hören wir die Frage, wie man Kindern helfen kann, die „schüchtern“ sind. Aber was bedeutet „schüchtern“ eigentlich? Schüchternheit wird häufig als eine Beschäftigung mit den eigenen Gedanken und Reaktionen beschrieben, die zu Unbehagen in zwischenmenschlichen Situationen führt (1).
Werden Menschen befragt, wie sie sich selbst einschätzen, geben zwischen 20% und 60% an, sich als „schüchtern“ zu sehen (2,3). Das bedeutet, dass ein Großteil der Menschen sich als schüchtern beschreibt. Diese Anzahl findet sich sowohl bei Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen!
Wird der Begriff „Schüchternheit“ in den Raum gesetzt, so ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass wir durch unseren Umgang mit Kindern besonders „erlernte Hilflosigkeit“ auch aktiv unterstützen können. Für weitere Infos hierzu siehe Literatur #4 für eine gute Zusammenfassung. Hier gilt es, besonders vorsichtig zu sein. Kinder mit „erlernter Hilflosigkeit“ haben gelernt, dass in ihrem Verhalten damit auch viele Vorteile liegen und sie dadurch z.B. Aufmerksamkeit erhalten oder bestimmte Aufgaben nicht machen müssen. Wird diese immer weiter unterstützt landen Kinder häufig in einer Negativ-Spirale aus der sie selbst nicht mehr raus kommen.
Einige Kinder, die als „schüchtern“ gelten, sind hochsensibel, nehmen also ihre Umwelt sehr bewusst wahr und werden stark davon beeinflusst. So werden sie möglicherweise noch schüchterner, wenn sie ein anderes Kind sehen das ebenfalls unsicher ist. Andere Kinder sind introvertiert und benötigen dadurch mehr Zeit um sich an neue Situationen zu gewöhnen als andere. Häufig sind es „Beobachter-Kinder“, die zunächst die Situation eine Weile beobachten wollen, bevor sie sich hineinbegeben. Einige Kinder sind hingegen so begeistert von ihren eigenen Projekten und Ideen, dass sie einfach weniger an sozialer Interaktion interessiert sind und dadurch soziale Situationen meiden.
Die gute Nachricht ist, dass die meisten Kinder lernen können, mit sozialen Ängsten umzugehen, wie sie Kontakt zu anderen aufnehmen, neue (Gruppen-)Situationen meistern und für sich selbst sprechen können. Einige brauchen nur ein bisschen zusätzliche Unterstützung.
12 Tipps, wie du „schüchterne“ Kinder unterstützen kannst um offener zu werden:
1) Stelle Positives in den Vordergrund:
Siehe dein Kind durch die Heldenbrille (siehe Beitrag „Die 3 Brillen“)! Die Schüchternheit ist nur EIN Teil deines Kindes. Denke daran, alle anderen Charaktereigenschaften zu fördern, die es zu der besonderen Person machen, die es ist: freundlich, hilfsbereit, einfallsreich, nachdenklich usw.
2) Bewerte nicht:
Wenn du den Beitrag „Die 3 Brillen“ gesehen hat, hast du bereits die 3 Ansichtsweisen auf Kinder und deren Auswirkungen kennengelernt. Beim Thema „Schüchternheit“ ist es danach nicht förderlich, zu sagen: „Sei nicht so schüchtern.“ oder „Immer bist du so schüchtern!“ – so steckt man das Kind bereits in die Schublade, dass es „schüchtern“ sei. Damit wird diese Eigenschaft verstärkt. Noch schlimmer ist es, dies eventuell vor anderen zu sagen und das Kind damit zu beschämen – in Folge fühlt es sich zusätzlich zur eigenen sozialen Unsicherheit noch schlechter und es wird vermutlich noch mehr solche Situationen zu vermeiden versuchen. Wichtig ist, dass es nicht darum geht, das Temperament des Kindes zu ändern. Um Kinder in ihrer emotionalen Entwicklung zu fördern geht es vielmehr darum, Temperament und Unterschiedlichkeit zu respektieren und zu achten sowie Kinder dabei zu unterstützen, eigene Strategien zu entwickeln, wie sie mit bestimmten sozialen Situationen angemessen umgehen können. Nimm stattdessen die Sorgen des Kindes zur Kenntnis und weise darauf hin, dass es seine Ängste überwinden kann. Zum Beispiel, könntest du zu deinem unsicheren Kind sagen: „Manchmal braucht man eine Weile, um sich an eine neue Situation zu gewöhnen. Erinnerst du dich an Sophias Geburtstagsfeier, wie es dir Sicherheit gegeben hat, dass ich da geblieben bin? Aber am Ende hattest du viel Spaß mit den anderen Kindern.“
3) Schaffe Übungsmöglichkeiten:
Versuche möglichst viele Möglichkeiten/Situationen zu schaffen in denen dein Kind seine sozialen Fähigkeiten üben kann, ohne sie ihm aufzudrängen oder es zu etwas zu zwingen. Begleite dein Kind, sei für es da, lass es dabei wissen, dass du an es glaubst. Wichtig ist es, ihm immer wieder Situationen zu schaffen wo es seinen Mut zeigen kann (z.B. alleine eine Besorgung machen, etwas an der Kasse bezahlen etc.) – stelle dann seinen Mut in den Vordergrund! (z.B.: „Du hattest Angst und hast es trotzdem geschafft und am Schluss warst du mega-stolz auf dich selbst und ich auch auf dich. Das hat sich richtig gut angefühlt, oder?“). Solche Erlebnisse sind wichtig, denn in neuen unbekannten Situationen kannst du dein Kind dann daran erinnern wie es eine schwierige Situation gemeistert hat. Es kann auch helfen, dass abends in der Familienrunde beim Abendessen darüber gesprochen wird, welche schwierigen Situationen jede/r einzelne erlebt hat und wie er sie gemeistert hat. Lobe jeden kleinen Schritt, den dein Kind in Richtung MUT tut.
4) Gefühle zum Thema machen:
Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und darauf zu reagieren hilft Kindern, sich selbst besser kennenzulernen und zu lernen, sich selbst zu beruhigen sowie mit eigenen Gefühlen umzugehen (z.B.: „Ich habe den Eindruck, du bist traurig darüber, stimmt das?“). Hier können auch Bücher hilfreich sein (z.B. Ich und meine Gefühle, Ich und meine Angst, Der kleine Bauchweh). Wenn zusätzlich über eigene Gefühle gesprochen wird, lernen Kinder auch die Auswirkung ihres eigenen Verhaltens auf die Gefühle anderer (z.B. „Ich freue mich, wenn du mir im Haushalt hilfst“). Emotional kompetentere Kinder, also Kinder die die eigenen Gefühle sowie die Gefühle anderer besser erkennen und benennen können und wissen, wie sie mit Gefühlen umgehen können haben mehr Freunde und sind erfolgreicher im Leben (5,6)!Ein sehr hilfreicher Ansatz für soziale Ängste besteht darin, sie als Teil des normalen Lebens zu akzeptieren, von dem die meisten Menschen betroffen sind. Wichtig ist, sich nicht in den „Angst-Teufelskreis“ reinziehen zu lassen sondern den Fokus während des Tages immer wieder auf schöne Gefühle des Kindes zu legen und diese besonders hervorzuheben.
Stelle dabei die POSITIVEN, also die schönen Gefühle wie Freude, Stolz oder Mut, in den Vordergrund (Buchtipp: Ein Rucksack voller Glück).
5) Mache dich mit den Sorgen deines Kindes vertraut:
Frage dein Kind wovor es Angst hat oder was ihm Sorgen bereitet. Häufig fällt es Kindern jedoch schwer darüber zu sprechen. Hier kann gemeinsames Spielen helfen: Spielt gemeinsam mit Figuren soziale Situationen nach. Hier kannst du z.B. selbst die Rolle eines schüchternen Kindes übernehmen und dann dein Kind fragen, was es glaubt, weshalb die Figur Angst hat. Du kannst auch die Puppen selbst miteinander reden lassen und die Figur deines Kindes mit einbeziehen. Tue dies nicht, wenn du selbst sozial unsicher bist oder selbst keine Antworten hast. Hier gilt: Positive Beispiele geben und im Spiel soziale Situationen erproben. Wichtig ist dabei nicht belehrend zu wirken sondern einfühlsam auf die Gefühle des Kindes einzugehen und diese anzunehmen ohne zu bewerten. Idealerweise führst du dein Kind durch Fragen dazu, eigene Lösungswege zu finden (z.B.: „Was könnte (die Figur im Spiel) tun, damit sie sich wohler fühlt?)
6) Soziale Fähigkeiten üben:
Einige Kinder profitieren davon klare Anweisung zu bekommen wie sie Kontakt zu anderen aufnehmen können. Auch hier können Bücher helfen (z.B. Bücher über das Thema Freundschaft: „Das Freunde-Finden Buch: Ein Ratgeber für Kinder“ oder „DU und ICH sind WIR. Das große Buch der Freundschaft“) oder gemeinsam Spiele zu spielen – auch hier eignen sich Rollenspiele sehr gut! Beziehe dabei dein Kind ein und frage es „was könnte Figur x jetzt tun?“ – so regst du dein Kind an, über eigenes Verhalten nachzudenken und kannst ihm wertvolle Tipps mit an die Hand geben.
Erkläre deinem Kind, dass sich die meisten Menschen zumindest manchmal in neuen Situationen mit mehreren Menschen unbehaglich fühlen. Bringe deinem Kind Strategien bei damit umzugehen. So kann es zum Beispiel lernen, dass es nicht selbst interessant sein muss, sondern eher an anderen interessiert sein kann. Erkläre deinem Kind, dass es z.B. anderen Kindern Fragen stellen kann und den Antworten zuhören kann. Überlegt gemeinsam, wie es mit einer Situation umgehen könnte, die es nervös macht: „Wenn du heute auf der Party nervös bist, was könntest du tun, dass es dir dort besser geht? Könntest du in die Nähe eines Kindes gehen, dass du gut kennst? Könntest du Hilfe anbieten? Worüber könntest du mit den anderen Kindern reden?“ Sobald es eine Strategie hat, wie es sich in der Situation verhalten kann, ist es eher bereit, sich auf die neue Situation einzulassen.
7) Geht vorbereitet in neue Situationen:
Geht ein bisschen früher zu Partys oder Treffen. So gibst du deinem Kind Zeit zum Aufwärmen und Ankommen und die Möglichkeit, sich an einzelne Kinder zu verbinden, bevor andere eintreffen. Wichtig: Gehe niemals ohne dich von deinem Kind zu verabschieden! Dies kann die Angst vor einer erneuten Situation nur noch mehr erhöhen!
8) Achte auf eigene Gefühle:
Viele Eltern befürchten, dass ihr Kind Chancen verpasst oder aufgrund seiner sozialen Ängste sich selbst im Weg steht und so kein erfülltes Leben führt. Dabei werden eigene Ängste geweckt und diese wiederum können auf das Kind übertragen werden. In Situationen, in denen bei dir eigene unangenehme Gefühle geweckt werden sage dir darum: „Es ist kein Notfall!“ Versuche selbst möglichst ruhig zu sein und Vertrauen in dein Kind zu haben. Dieses Vertrauen und die Ruhe werden sich auch auf dein Kind übertragen.
9) Achte auf eigenes Verhalten in sozialen Situationen:
Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Bist du selbst Fremden gegenüber freundlich, bist hilfsbereit anderen gegenüber und hast eine entspannte Haltung gegenüber sozialen Interaktionen wirkt sich dies auch positiv auf dein Kind aus. Fällt es dir selbst schwer, schaffe Situationen bei anderen vertrauten Personen, bei denen dein Kind ein gutes Vorbild hat.
10) Tappe nicht in die Falle der Überbehütung:
Wenn dein Kind sich weigert zu antworten, überrede es nicht oder antworte nicht für es. Warte einfach in aller Stille, damit es über seine Antwort nachdenken kann. Indem du ihm die Gelegenheit gibst, selbst zu Wort zu kommen, stärkst du sein Vertrauen in sich selbst. Je mehr Möglichkeiten es hat, für sich selbst zu sprechen, desto einfacher wird es für es in der Zukunft sein – Übung macht den Meister!
11) Druck erzeugt Gegendruck:
Zwinge dein Kind möglichst nicht zu Dingen, die es nicht tun möchte. Druck erzeugt Stress und Stress fördert Angst.
12) Schlechte Erlebnisse prägen Kinder:
Wenn dein Kind etwas Unheimliches oder Erschreckendes erleben musste, so kann dies noch lange Auswirkungen haben. Vor allem, wenn das Kind noch klein war, hat(te) es dafür häufig noch keine Worte und die erlebten Ängste bleiben wie „im Inneren eingesperrt“. Kinder, die versuchen, die Angst in Schach zu halten, werden oft noch ängstlicher oder sogar starr oder aggressiv zu Hause, dafür sehr zurückhaltend anderswo. Wenn du hier dein Kind wiederfindest, achte besonders darauf, dass dein Kind täglich die Möglichkeit hat zu Lachen und fröhlich zu sein. Lachen baut Stress ab und fördert Glückshormone. Wenn du merkst, dass dein Kind trotz aller Bemühungen nicht alleine aus seinen Ängsten hinausfindet zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine erste Ansprechperson kann hier die Kinderärztin / der Kinderarzt sein.
Weitere Buch-Tipps:
- Keine Angst vor niemand: Mini-Meditationen für Kinder
- Was macht man mit einem Problem
- Das Freunde-Finden Buch: Ein Ratgeber für Kinder
Artikel:
- Saunders, P. L., & Chester, A. (2008). Shyness and the internet: Social problem or panacea?. Computers in human behavior, 24(6), 2649-2658.
- Onukwufor, J. N., & Iruloh, B. R. N. (2017). Prevalence, Gender and Level of Schooling Differences in Secondary School Students Level of Shyness. Journal of Education and Practice, 8(2), 93-100.
- Heiser, N. A., Turner, S. M., & Beidel, D. C. (2003). Shyness: Relationship to social phobia and other psychiatric disorders. Behaviour research and therapy, 41(2), 209-221.
- Wolf, K. (2001). Ermutigung in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Jugendhilfe, Jg, 39, 206-211.
- Graziano, P. A., Reavis, R. D., Keane, S. P., & Calkins, S. D. (2007). The role of emotion regulation in children’s early academic success. Journal of school psychology, 45(1), 3-19.
- McCabe, P. C., & Altamura, M. (2011). Empirically valid strategies to improve social and emotional competence of preschool children. Psychology in the Schools, 48(5), 5
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