Blog Warum ist bindungsorientierte Erziehung wichtig

Warum ist bindungsorientierte Erziehung so wichtig?

Abhängig mit wem man spricht, erhält man unterschiedliche Antworten auf die Frage, was bindungsorientierte Erziehung eigentlich ist. 

Auf Deutsch werden die Begriffe bindungs- oder bedürfnisorientierte Elternschaft oder Erziehung gleichermaßen für den englischen Begriff „Attachment Parenting“ benutzt. Man stößt auch auf Begriffe wie “Beziehung statt Erziehung”, „unerzogen“, „artgerecht“ und „geborgene Kindheit“.  

Doch was ist bindungsorientierte Erziehung eigentlich und warum ist sie so wichtig?

Zuerst schauen wir uns dafür die beiden Begriffe „bindungsorientiert“ und „Erziehung“ an:

1) Bindungsorientiert

Bindungsorientiert setzt sich aus 2 Begriffen zusammen: Bindung und Orientierung.

Was ist eine Bindung?

In der Entwicklungspsychologie wird mit Bindung die emotionale Verbindung zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson bezeichnet. Ein Säugling kommt mit dem Urinstinkt zur Welt, eine Bindung zu einer Bezugsperson aufzubauen (Überlebenstrieb). Eine sichere Bindung, entwickelt ein Säugling zu derjenigen Bezugsperson, die zeitnah, konstant, liebevoll und einfühlsam auf seine Bedürfnisse eingeht. Viele Studien bestätigen, dass eine sichere Bindung ein wichtiger Grundbaustein für die psychisch gesunde Entwicklung von Kindern ist (siehe z.B. Caputo et. al. 2020  – Literaturhinweise findest du am Ende dieses Beitrages).

Orientierung

wiederum bedeutet, sich auf bestimmte Grundsätze zu konzentrieren, sich diese als Leitfaden zu eigen machen.

Bindungsorientiert

bedeutet also, dass ein Verhältnis zwischen dem Kind und der Bezugsperson angestrebt wird, welches auf einer liebevollen und sicheren Beziehung beruht.

Was ist Erziehung?

 „Unter Erziehung versteht man die pädagogische Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten Heranwachsender. Dabei beinhaltet der Begriff sowohl den Prozess als auch das Resultat dieser Einflussnahme.“ (Brockhaus – weitere Definitionen für Erziehung findest du hier auf der Webseite der Uni Köln)

Das bedeutet also:
Kinder und Jugendliche zeigen ein bestimmtes Verhalten. Erwachsene beeinflussen mit ihren Handlungen (pädagogische Einflussnahme) dieses Verhalten. Das Beeinflussen geschieht über einen länger andauernden Zeitraum (Prozess). Dabei hat die Art und Weise, also WAS für eine Handlung der Erwachsene wählt, und WIE er diese Handlung umsetzt, einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. All dies hat eine wichtige Auswirkung (Resultat) auf die psychische Gesundheit, das Selbstbild, Lebenseinstellung und vieles mehr des aufwachsenden Kindes.  

Erziehung-Prozess Grafik

Bei uns entsteht in letzter Zeit der Eindruck, dass der Begriff „Erziehung“ in der heutigen Zeit zum Teil negativ geprägt, ja in manchen Gruppen geradezu verpönt ist. Als Eltern / Erzieher / pädagogisches Fachpersonal / Lehrkräfte etc. haben unsere Handlungen (oder auch Nicht-Handlungen!) jedoch immer einen Einfluss auf die Entwicklung unserer Kinder! 
Hier sind zwei Beispiele die verdeutlichen sollen, wie wichtig die Art und Weise der Handlung des Erziehenden ist: 

  • Verhalten: Ein 3-jähriges Kind wird auf dem Spielplatz von einem anderen Kind geärgert und schmeißt mit Sand nach ihm. 
Reaktion 1:
  • Handlung/pädagogische Einflussnahme: Ich gehe zu dem Kind, lege meine Hand auf seine Schulter und sage: „Stopp, XY! Sand ist zum Bauen da. Ich habe beobachtet, das YX dich geärgert hat, kann das sein? Bitte benutze deine Worte! Sage laut ‚Stopp!‘ Wenn dich jemand ärgert!“ 
  • Prozess: Die Art und Weise der Beeinflussung sind hier Worte und klare Anweisungen. 
  • Kurzfristiges Ergebnis (Resultat): Kind hört auf Sand zu schmeißen. 
  • Einfluss auf Entwicklung und psychische Gesundheit: Mit meiner Handlung unterstütze ich mein Kind darin zu lernen, Konflikte mit Worten anstatt mit Taten zu lösen. Dies hilft ihm, soziale Kompetenzen aufzubauen. Und soziale Kompetenzen stärkt die Resilienz und damit die psychische Gesundheit.

Mehr zum Thema liebevoll Grenzen setzen findest du hier.

Reaktion 2:
  • Handlung/pädagogische Einflussnahme: Von weit weg rufe ich meinem Kind zu, es soll das sein lassen [Kind hört nicht auf]. Genervt gehe ich schlussendlich zu dem Kind hin und schreie „Bist du taub? Das tut man nicht!“ und packe es grob am Arm.
  • Prozess: Die Art und Weise der Beeinflussung sind hier schroffe Worte, Beleidigung, körperliche Züchtigung. 
  • Kurzfristiges Ergebnis (Resultat): Kind hört auf Sand (in meinem Beisein) zu schmeißen. 
  • Einfluss auf Entwicklung und psychische Gesundheit: Mit meiner Handlung lernt das Kind: Körperliche Übergriffe und Beschimpfungen sind ok (die Bindungsperson macht es ja auch). Es wird möglicherweise in Zukunft aggressives Verhalten (Vorbild-Nachahmung) zeigen. So kann aus der „pädagogischen Einflussnahme“ des Erwachsenen ein Teufelskreis von einem sogenannten „schlimmen Kind“ entstehen.

Es würde nahe liegen, dass die Erwachsene Person aus Reaktion 1 eher eine “bindungsorientierte Erziehung” anstrebt, ist hier ja das Ziel einfühlsam auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen (aber tatsächlich könnte auch die Person aus Beispiel 2 bindungsorientiert Erziehen und gerade einen sehr schlechten Tag haben). Mit diesen Beispielen wollen wir nur aufzeigen, dass wir mit all unserem Handeln “erziehen” oder wir könnten auch “lenken”, “begleiten”, “anleiten” oder “führen” dazu sagen.

Noch mehr zum Thema Erziehung findest du in unserem Artikel über Erziehung – hier stellen wir dir 4 Erziehungsstile vor!

2) Was ist nun bindungsorientierte Erziehung?

Bindungsorientierte Erziehung ist kein äußerlich sichtbarer Lebensstil sondern viel mehr eine innere Einstellung zum Kind, nämlich die, dass das Bedürfnisse und Meinungen von Kindern wichtig sind.  Welchen Erziehungsstil hingegen eine Bezugsperson im Umgang mit dem Kind nutzt ist vielfältig.

Folgende entwicklungspsychologische Informationen erscheinen uns jedoch sehr wichtig, wenn es um “Bindungsorientierte Erziehung” geht: Bindungsorientierte Erziehung legt den Fokus auf eine gute Bindung zwischen Kindern und Erwachsenen einer Familie. Der Aufbau bzw. die Erhaltung dieser guten Bindung ändern sich jedoch je nachLebensalter des Kindes: 

  • Säuglingszeit: Um eine sichere Bindung aufzubauen, ist es in der Säuglingszeit wichtig, Grundbedürfnisse wie Hunger oder Körperkontakt unmittelbar zu stillen. Darum befürwortet bindungsorientierte Erziehung langes, bedarfsorientiertes Stillen, nahes beieinander schlafen von Mutter/Vater und Kind und häufiges Tragen des Säuglings. 
  • Kleinkindalter: Nur kurze Zeit später, bereits als Kleinkind (ab ca. 12 Monate), sind jedoch Bedürfnisse und Wünsche nicht mehr gleichzusetzen! Und je älter das Kind wird, desto größer wird die Spanne zwischen diesen beiden Begriffen. Darum verschiebt sich der Fokus nun von der unmittelbaren Stillung der Grundbedürfnisse darauf, zu erkennen, was Wunsch, und was Bedürfnis des Kindes ist. 

Zum Beispiel kann ein übermüdetes Kind vor Wut rebellieren, weil es den Wunsch äußert, Fernsehen schauen zu wollen, das eigentliche körperliche/gesundheitliche Bedürfnis wäre jedoch, schlafen zu gehen.

Um die Bindung nun aufrecht zu erhalten, ist ein wertschätzender, liebevoller und respektvoller Umgang mit dem Kind und seinen Gefühlen wichtig. Dem Kind also das Gefühl zu geben: Ich sehe dich und du bist mir wichtig, ich höre dir zu – und jetzt ist es wichtig, dass du schlafen gehst!

Beispiel: “Ich höre dich, du möchtest so gerne Fernsehschauen. Komm her zu mir, darf ich dich kurz kuscheln?”(Körperkontakt stärkt die Bindung und gibt dem Kind das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit – es kann so entspannen). Nach einer kurzen Kuscheleinheit: “Auch wenn du jetzt gerne Fernsehschauen möchtest, es ist jetzt Zeit zum Schlafen gehen. Soll ich dich ins Bett tragen, oder möchtest du gemeinsam als Trampeltierfamilie ins Schlafzimmer stampfen?”

  • Jugendalter: Ein wertschätzender, liebevoller und respektvoller Umgang mit dem Kind und seinen Gefühlen ist auch im Jugendalter Grundvoraussetzung für eine gute Bindung!

Anstatt auf unerwünschtes Verhalten der Kinder mit Strafen oder Drohen zu reagieren, steht bei der bindungsorientierten Erziehung im Vordergrund, die Bedürfnisse, die zu einem bestimmten Verhalten geführt haben zu entdecken, und darauf verständnis- und liebevoll einzugehen. Es bedeutet, dem Kind zu erlauben, alle Gefühle zuzulassen. Wenn dein Kind traurig ist, tröste es, wenn es wütend ist, entgegne ihm mit Verständnis und Ruhe. Sorge dafür, dass es sich sicher fühlt und sich geliebt fühlt, so wie es ist.

In Konfliktsituationen geht es darum, gemeinsam Lösungen zu finden und das Kind anzuleiten, selbstständig Problemlösungsstrategien zu finden. So unterstützt du dein Kind, auf dem Weg in die Selbstständigkeit. 

Es geht in der bindungsorientierten Erziehung NICHT um die Erfüllung aller Wünsche! Und auch NICHT , um anti-autoritäre oder laissez-faire Erziehung! Auch Selbstbestimmung und Selbstregulation ist NICHT automatisch mit bindungsorientierter Erziehung gleichzusetzen!

Bindungsorientierte Erziehung ist eine grundlegende Einstellung Kindern gegenüber.
Dabei ist die Achtung eigener Grenzen und Bedürfnisse ebenso wichtig! 
Denn nur wer selbst Energie hat, kann sich liebevoll, achtsam, wertschätzend und respektvoll in Konfliktsituationen verhalten!

3) Warum ist eine bindungsorientierte Erziehung wichtig?

Nur wenn sich Kinder sicher, also gut beschützt und verstanden, fühlen, können sie sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, die ihre Aufgaben als Kinder sind! So schaffen sie es, ihr “Reptilien-Gehirn” (den Hirnstamm, in dem Urinstinkte wie Kampf/Flucht/Einstarren liegen) langfristig zu beruhigen und damit ihr “Helden-Gehirn” (den Präfrontalen Cortex, in dem viele wichtige exekutive Funktionen, wie Gefühleregulation und Konzentration liegen) zum Chef in ihrem Kopf zu machen!

Bindungsorientierte Erziehung schafft also das Urvertrauen, dass das Kind von seiner Bezugsperson beschützt, bestärkt und sicher geleitet wird.  Und gerade dieses Urvertrauen stärkt den inneren seelischen Schutzpanzer von Kindern, damit sie erfolgreich mit Herausforderungen im Leben, wie Stress, Krisen oder Verlusten umgehen können (mehr Informationen dazu siehe Artikel Resilienz). 

So wird es sicher angeleitet und kann sich zu einem selbstständigen, erfolgreichen Erwachsenen entwickeln. Während Erziehung irgendwann abgeschlossen ist, hält die Beziehung zu deinem Kind ein Leben lang! 😊 

Hier findest du ausführliche Tipps für eine gelungene bindungsorientierte Erziehung (sowie noch mehr Literaturtipps  😊 ).

Literaturtipps:

Caputo, V., Pacilli, M. G., Arisi, I., Mazza, T., Brandi, R., Traversa, A., … & Moggio, L. (2020). Genomic and physiological resilience in extreme environments are associated with a secure attachment style. Translational Psychiatry, 10(1), 1-11.

 Erziehung. In: Brockhaus Enzyklopädie. 17. Auflage. Band 5. Wiesbaden 1968, S. 707.


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