„Jetzt beruhig dich doch mal!“ „Das ist doch nicht so schlimm!“ „Du musst nicht traurig sein!“ Wir alle kennen solche Aussagen – Doch helfen sie Kindern, ihre Gefühle lenken zu lernen? Was genau ist eigentlich Emotionsregulation und wie entwickelt sich Selbstregulation? Wenn du wissen willst, wie du Kinder unterstützen kannst, ihre Gefühle lenken zu lernen, bleib dran! Literaturangaben findest du wie immer unter dem Text.
Kennst du schon das Reptilien-, Säugetier- und Helden-Hirn?
Diese 3 Bereiche sind ganz wichtig für die Emotionsregulation
Tagtäglich sind wir damit beschäftigt, unsere innere Gefühlswelt so im Zaum zu halten, dass wir sie angemessen nach Außen transportieren können.
Erwachsenen gelingt das meist ganz gut: Wir haben gelernt, unsere Gefühle zu regulieren und uns entsprechend dem sozialen Kontext zu verhalten. Wie viel Energie uns diese Selbstregulation eigentlich kostet, wird oft erst deutlich, wenn wir müde, gestresst oder hungrig sind. Dann kommt es vor, dass wir nicht mehr mit Engelsgeduld reagieren, wenn das Kind zum dritten Mal jammert, weil es etwas haben will, oder am Abend nicht ins Bett gehen will.
Es bedeutet Anstrengung für unser Gehirn, unangemessene Reaktionen zu unterdrücken und erfolgreiche Strategien anzuwenden, um mit Gefühlen so umzugehen, dass wir uns einerseits emotional ausgeglichen fühlen – also z.B. nicht zu viel in uns hineinfressen – und uns andererseits sozial angepasst verhalten – also z.B. niemanden anschreien.
Was ist der Unterschied zwischen Emotionsregulation und Selbstregulation?
Emotionsregulation ist eine wichtige sozial-emotionale Fähigkeit . Bei der Emotionsregulation lenken wir mit unserem „Helden-Hirn“ (dem Präfrontaler Cortex) das Erleben und Ausdrücken unserer eigenen Gefühle sowie die Wahrnehmung von Gefühlen anderer. Während wir unsere Gefühle zu regulieren versuchen, laufen in unserem Gehirn ganz viele komplexe Prozesse ab.
Die Emotionsregulation ist ein Teil der „Selbstregulation“, die zusätzlich weitere Prozesse beinhaltet, wie z.B. die Fähigkeit sich weiter entfernt liegende Ziele setzen zu können (Blair & Raver, 2012; McClelland et al., 2010). Selbstregulation ist im weitesten Sinne die Fähigkeit, das eigene Verhalten willentlich zu planen und bei Bedarf an Situationen anzupassen (Barkley, 2011). Übrigens: Studien zeigen, dass Jungen ein niedrigeres Niveau der Selbstregulierung haben als Mädchen (Kochanska et al., 2001; McClelland et al., 2012; Montroy et al., 2016) – Forscher vermuten den Grund dafür in geschlechterspezifischen, kulturellen Überzeugungen und Erwartungen (von Suchodoletz et al., 2013).
Die Entwicklung der Emotionsregulation in der Kindheit hängt also stark mit der Gehirnentwicklung zusammen.
Je jünger ein Kind, desto mehr Zugang hat es zu seinem sogenannten „Reptilien-Gehirn“. Dieses ist auch als „Hirnstamm“ oder „Beschützer-Gehirn“ bekannt, denn es sorgt dafür, dass es uns schützt. Dies kann sein, indem es uns Energie schickt, um rasch Weglaufen zu können oder um in den Kampf-Modus überzugehen und aggressiv zu reagieren. Auch das „Tot-stellen“ gehört zum „Überlebensmodus“ aus dem Hirnstamm dazu.
Aus dem „Säugetier-Hirn“ heraus handeln wir bereits nicht mehr im „Überlebensmodus“ sondern emotional. Ein 4-jähriges Kind das zum Beispiel sagt: „Ich hasse dich!“ wenn etwas nicht nach seinem Willen geht handelt bereits aus dem Säugetier-Hirn. Aber haut, beißt oder kratzt nicht mehr gleich! Auch, wenn wir selbstverständlich tief getroffen sind, nach solch einem emotionalen „Angriff“ – das Kind ist gehirntechnisch bereits eine Stufe höher als zuvor!
Unser „Helden-Hirn“ oder auch der sogenannte „Präfrontale Cortex“ ist am allerwichtigsten, um Gefühle selbstständig lenken zu können. Zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr macht er eine rasante Entwicklung durch. So entwickeln Kinder z.B. ab dem 3.-4. Lebensjahr die Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein versetzen zu können. Sie können jetzt kurz innehalten und „Stopp“ sagen, anstatt ihr gegenüber zu hauen!
Das Gehirn bildet zunehmend Autobahnen zu bestimmten Bereichen, wie z.B. dem Bereich Sprache und Bewegung aus. Während Kinder mit 2-3 Jahren noch ein großes Neuronen-Chaos im Kopf haben, startet ab ca. 3 Jahren eine „Entwirrung“ des Chaos. Mehr dazu in unseren Beiträgen zum Thema „Trotzphase “ und „Neuroplastizität “!
Kinder brauchen einfühlsame Erwachsene die sie im Umgang mit Gefühlen unterstützen!
Es ist ganz schön schwierig, die eigenen Gefühle zu lenken, wenn man einen anstrengenden Tag hatte und möglicherweise hungrig und müde ist, oder einfach von vielen Reizen überreizt.
Darum brauchen Kinder einfühlsame Erwachsene an ihrer Seite, die ihnen helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen!
Gefühle lenken zu lernen ist wichtig! Denn Kinder, denen erfolgreiche Strategien im Umgang mit Emotionen fehlen, können sich in schwierigen Situationen nicht beruhigen, sind häufig angespannt, leicht reizbar und frustriert. Die Unfähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren, erschwert den Kindern die soziale Kontaktaufnahme in der Schule und zu Hause. Kinder zeigen sich teils aggressiv und aufbrausend oder ängstlich und deprimiert.
Studien zeigen, dass Kinder, die ihre Gefühle besser erkennen und benennen können, mehr Freunde haben, im Leben glücklicher, erfolgreicher in Schule und Beruf, sowie psychisch gesünder sind (sie z.B. Cohn & Fredrickson, 2009)! Sich seiner Gefühle im Klaren zu sein, erleichtert die Kommunikation darüber. Wenn wir offen über unsere Gefühle sprechen, erhöht dies, die Wahrscheinlichkeit des Gegenübers, auf die Bedürfnisse des Gesprächspartners einzugehen. Unsere Bedürfnisse werden also sichtbar (siehe auch Beitrag: “Warum alle Gefühle wichtig sind)!
Kinder zu lehren, ihre Gefühle zu erkennen und zu benennen sowie lenken zu lernen, ist also eine Basis für mentale Gesundheit (und damit übrigens viel wichtiger, als Kinder mit einer „Auszeit“ als Strafe dazu zu bringen, ihre Gefühle zu unterdrücken – mehr dazu in unserem Beitrag: “Warum eine Auszeit als Strafe für Kinder schädlich ist und was du stattdessen tun solltest”)!
Hilf Kindern im Umgang mit ihren Gefühlen
Zeige deinem Kind: Alle Gefühle sind wichtig und sprich mit ihm über Gefühle. Bei kleinen Kindern die noch nicht gut sprechen können, kannst du auch erahnen, wie sie sich fühlen und danach fragen. Z.B.: „Ich habe das Gefühl, du ärgerst dich, kann das sein?“ Damit gibst du deinem Kind die Change „JA“ zu sagen und gesehen zu werden!
Literaturangaben:
Blair, C., & Raver, C. C. (2012). Child development in the context of adversity: experiential canalization of brain and behavior. American Psychologist, 67(4), 309.
Barkley, R. A. (2011). Barkley deficits in executive functioning scale (BDEFS). Guilford Press.
John, O. P., & Gross, J. J. (2007). Individual differences in emotion regulation. Handbook of emotion regulation, 351-372.
Kochanska, G., Coy, K. C., & Murray, K. T. (2001). The development of self‐regulation in the first four years of life. Child development, 72(4), 1091-1111.
McClelland, M. M., & Cameron, C. E. (2012). Self‐regulation in early childhood: Improving conceptual clarity and developing ecologically valid measures. Child development perspectives, 6(2), 136-142.
McClelland, M. M., Ponitz, C. C., Messersmith, E. E., & Tominey, S. (2010). Self‐regulation: Integration of cognition and emotion. The handbook of life‐span development.
Montroy, J. J., Bowles, R. P., Skibbe, L. E., McClelland, M. M., & Morrison, F. J. (2016). The development of self-regulation across early childhood. Developmental psychology, 52(11), 1744.
Posner, M. I., & Rothbart, M. K. (2000). Developing mechanisms of self-regulation. Development and psychopathology, 12(3), 427-441.
von Suchodoletz, A., Gestsdottir, S., Wanless, S. B., McClelland, M. M., Birgisdottir, F., Gunzenhauser, C., & Ragnarsdottir, H. (2013). Behavioral self-regulation and relations to emergent academic skills among children in Germany and Iceland. Early Childhood Research Quarterly, 28(1), 62-73.
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